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Diskriminierung bei österreichischen Wahlen (6.5.2024)

 

Der Behindertensprecher und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DA weist in einem breit gestreuten Mail neuerlich auf die - zuletzt sogar noch verschärfte - Benachteiligung von beeinträchtigten Menschen bei der Abgabe von Unterstützungserklärungen hin. Er fordert ein Umdenken und eine Anpassung der Wahlordnungen an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung. (Zusammenfassung in einfacher Sprache)

 

Von: DA NÖ - Gerhard Hämmerle
Gesendet: Montag, 6. Mai 2024 13:31
An: Wolfgang Gerstl (ÖVP); Agnes Sirkka Prammer (Grüne)
Cc: Diverse Politiker und Parteien, diverse Journalisten und Medien, diverse Behindertenorganisationen und Interessensvertretungen, Behindertenanwalt, Volksanwaltschaft, Sozialministerium, Präsidentschaftskanzlei, Bundeskanzleramt, BMI, OSZE, ODIHR, Demokratiezentrum
Betreff: Diskriminierung bei österreichischen Wahlen

Guten Tag!

Ich beziehe mich in diesem Schreiben auf Ihren 2022 in den Nationalrat eingebrachten Antrag 3002/A, welcher am 31.01.2023 einstimmig angenommen wurde.

Dieser Antrag (damit das daraus entstandene Gesetz) - sowie der nachfolgende einstimmige Beschluss - DISKRIMINIERT Menschen mit Behinderung bei der Ausübung von Teilen des AKTIVEN WAHLRECHTS - einem demokratischen Grundrecht!

Als Antragseinbringer tragen Sie für mich eine besondere Verantwortung bei dieser neu geschaffenen Diskriminierung im Wahlrecht!

Aber natürlich trägt auch der gesamte Nationalrat durch seinen einstimmigen Beschluss eine Mitverantwortung, dass nun einigen Menschen mit Behinderung (oder auch einigen chronisch Erkrankten) ein Teil des aktiven Wahlrechts bei der praktischen Ausübung verwehrt wird!

Es dreht sich genauer um die Möglichkeit eine Unterstützungserklärung (in Folge UE) leisten zu können. Sowohl bei einer Nationalratswahl (NRWO, Abschnitt 2, § 42, Abs.: 3), als auch bei einer Bundespräsidentenwahl (BPräsWG, § 7, Abs.: 2, und hierMUSS jeder Kandidat und auch Amtsinhaber UEs aufbringen) und der Wahl zum Europäischen Parlaments (EuWO, § 30, Abs. 3) tritt dieses Problem auf.

Kurz gesagt wurde hier Menschen mit Behinderung oder auch chronisch Erkrankten (welche meist einen Behindertenstatus haben), die auf Grund dieser Behinderung oder Erkrankung nicht mobil sind - an ihr Bett oder zumindest Haushalt gebunden sind - die Ausübung dieses aktiven Wahlrechts genommen, da es KEINERLEI Möglichkeit  mehr gibt eine UE zu Hause zu leisten .

 

Man hat also die Inklusion dieser Menschen an diesem Teil des aktiven Wahlrechts im Jahr 2023 ABGESCHAFFT!

 

Es trifft dies aber auch Menschen mit Behinderung, welche auf Gemeindeämtern (wo UEs zu unterfertigen sind) keine, für ihre Behinderungsart nach ÖNORM B 1600 (und anderen Richtlinien), umfassenden Systeme zur Barrierefreiheit vorfinden - auch in meiner (ich bin blind) zuständigen Gemeinde (St. Pölten) ist dies nicht umgesetzt. Auch die UN hat die Umsetzung von Barrierefreiheit bei ihrer Länderprüfung 2023 (CRPD/C/AUT/CO/2-3) angemahnt - sowie einige andere problematische Umstände:

"Zugang zum Recht (Art.

33. Der Ausschuss ist besorgt darüber,

... manche Verwaltungs- und Ge-richtsgebäude nicht barrierefrei zugänglich sind,..."

oder

"Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben (Art. 29)

67. Der Ausschuss stellt besorgt fest,

a) dass die Abstimmungs- und Wahlverfahren (aktives Wahlrecht) nicht uneingeschränkt zugänglich sind;..."

(Zitate aus: CRPD/C/AUT/CO/2-3)

Punkt 67 wohl auch basierend auf einer von mir 2021 eingeberachten Beschwerde bei der UN,

" Inklusion und Selbstbestimmung bedeuten, dass Menschen mit Behinderung an allen Grund- und Freiheitsrechten teilhaben können, meinte Bedrana Ribo (Grüne)."

(Zitat: PARLAMENTSKORRESPONDENZ NR. 163 VOM 28.02.2024)

 

Wenn man dann solche Worte liest, und sich die Einschränkungen bei den Wahlrechten bewusst macht, kommt man sich als Mensch mit Behinderung ganz klar - und umgangssprachlich ausgedrückt - "verarscht" vor!

Eventuell hat man sich dabei nur darauf konzentriert wie viele Menschen mit Behinderung diese Option möglicherweise nutzen, aber wenn in diesem Land Inklusion, Gleichstellung bei Rechten und Behindertenpolitik nur dann stattfindet wenn es eine scheinbar große Menge nutzt, dann sollte die Republik Österreich aus der UN-Behindertenrechtskonvention austreten - ist es ausschlaggeben ob 100 oder 1.000 Menschen mit Behinderung Barrierefreiheit oder Inklusion bei einem Recht in Anspruch nehmen möchten?

Behindertenrechte sind so gut wie immer Minderheitenrechte - schützen wir all diese Rechte nicht mehr in dieser Demokratie?

Dies rückt die kommende Nationalratswahl in ein anderes Licht, solange solche offenbar verfassungswidrigen Ungleichstellungen bestehen, aber auch die EU-Wahl in Österreich bekommt dadurch einen undemokratischen Beigeschmack!

Emotional gesagt ist es für mich unverständlich, dass es in Österreich bei einigen Wahlen manchen Gruppen von Wahlberechtigten praktisch unmöglich gemacht wird ihren Wählerwillen Ausdruck verleihen zu können!

Hierzu muss es ein Umdenken und eine praktikable Adaption der Wahlordnungen geben, wenn man zum Thema Inklusion, Gleichstellung und Rechte für Menschen mit Behinderung keine dauerhafte Rückentwicklung akzeptieren möchte!

 

mfg

Gerhard Hämmerle

(Behindertensprecher und stv. Vorstandsvorsitzender der DA)

 

Nachtrag 7.5.2024:

Die Antwort von Frau Magistra Agnes-Sirkka Prammer:

Gesendet: Dienstag, 07. Mai 2024 15:07
An: DA NÖ G. Hämmerle
Betreff: Re: Diskriminierung bei österreichischen Wahlen

Sehr geehrter Herr Hämmerle,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Ich möchte betonen, dass wir insbesondere auch mit dem von Ihnen erwähnten Gesetzespaket vom letzten Jahr das Anliegen verfolgt haben, die Rechte von Menschen mit Behinderungen bei Wahlen zu stärken.

So ist nunmehr vorgeschrieben, dass bis 2028 alle Wahllokale für Wahlen, bei denen der Bund zuständig ist, barrierefrei sein müssen. Als Übergangsbestimmung ist vorgesehen, dass in Gebäuden, in dem mehrere Wahllokale untergebracht sind, bereits jetzt mindestens eines barrierefrei erreichbar sein muss. Für blinde und schwer sehbehinderte wahlberechtigte Personen sind in diesen Gebäuden geeignete Leitsysteme oder gleichwertige Lösungen vorzusehen.

Weitere Verbesserungen sind:

> Gesetzliche Verankerung von Wahlkarten-Schablonen für blinde Wähler*innen sowie Einführung einer Abschrägung der Wahlkarten-Schablone (Schablone wird an der rechten oberen Ecke im 45-Grad-Winkel abgeschitten (ermöglicht leichteres Einlegen des Stimmzettels in die Schablone).

> Mindest-Schriftgrößen für Drucksorten

> Veröffentlichung von Informationen über den Wahlvorgang in leicht lesbarer Sprache; die Gemeinde muss diese Infos in ortsüblicher Weise verbreiten

> Diskriminierungsfreie Begriffe im Gesetz

Mit diesen Bestimmungen ist in Sachen Gleichstellung ein Fortschritt passiert und sicher kein Rückschritt.

Uns ist natürlich bewusst, dass es immer noch Möglichkeiten zur weiteren Verbesserung gibt und diese auch in Zukunft passieren müssen. Jedoch ist es im politischen Betrieb nicht immer einfach, alle Vorstellungen (selbst wenn die die Barrierefreiheit betreffen) gegenüber anderen politischen Parteien durchzusetzen. So gab es auch insbesondere was die völlige Barrierefreiheit der Wahllokale bis 2028 betrifft, teilweise beträchtlichen politischen Widerstand auf verschiedenen Ebenen. Wir haben die Verbesserung dennoch durchgesetzt, wohl wissend dass es bis dorthin noch vier weitere Jahre sind, in denen viele Menschen mit Behinderungen noch mit Barrieren am Wahltag umgehen müssen.

Manches von dem, wofür wir Grünen uns eingesetzt haben, war leider nicht möglich: dazu gehörte auch die Möglichkeit, Unterstützungserklärungen in Zukunft online abgeben zu können. Dies wäre gerade auch für Menschen mit Behinderungen, wie Sie schreiben, eine Verbesserung. Denn bisher ist es so, dass Unterstützungserklärungen persönlich bei der Gemeinde abgegeben werden müssen. Das von Ihnen angesprochene Wahlrechtsänderungsgesetz hat an diesem Punkt (leider) nichts geändert - natürlich aber auch nicht zum Schlechteren. Es wurde damit also nichts abgeschafft, sondern es konnte etwas leider nicht eingeführt werden.

Seien Sie versichert, dass wir uns auch in Zukunft dafür einsetzen werden, die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu stärken.

Mit freundlichen Grüßen,

Agnes Prammer

 

Nachtrag 9.5.2024:

Von: DA NÖ - Gerhard Hämmerle
Gesendet: Donnerstag, 9. Mai 2024 10:16
An: Agnes Sirkka Prammer (Grüne)
Betreff: AW: Diskriminierung bei österreichischen Wahlen

Guten Tag!

Ich bedanke mich für Ihre Rückmeldung, und erkenne natürlich, dass es auch Verbesserungen gibt. Man muss dazu auch sagen, dass die Republik Österreich die UN-BRK bereits 2008 ratifiziert hat - also vor 16 Jahren! Somit wären solche Verbesserungen schon längst umzusetzen gewesen!

Außerdem muss ich Sie in dem Teil wo Sie konkret auf meine Beschwerde eingehen leider korrigieren - es mag sein, dass Ihnen der alte Gesetzestext nicht oder nicht mehr bekannt ist (Zitat siehe unten).

Es gab vor ihrem Antrag auf Änderung eine Option seine Unterstützungserklärung zu Hause via Notar zu leisten - diese Regelung war sicher nicht ideal, da die Kosten dafür von der Person mit Behinderung welche eine UE abgeben wollte zu leisten war - aber es gab damals zumindest eine Option!

Deutlich gesagt, man hat von EINER Option auf NULL reduziert - was per Definition eine VERSCHLECHTERUNG darstellt!

Das bedeutet, dass man 2023 eine NEUE Diskriminierung geschaffen hat!

Ich schlage hier also dringendst eine Änderung dieses Zustandes vor - denn auch Ihr politischer Partner wird hoffentlich keine NEUE Diskriminierung von nicht mobilen Menschen mit Behinderung (oder chronisch Erkrankten, alten und gebrechlichen Personen) bei dem demokratischen Grundrecht der Wählerwillensäußerung aufrecht erhalten wollen.

Ich stehe Ihnen hierzu gerne zu konstruktiven Gesprächen zur Verfügung.

Zitat aus dem Gesetz vor Ihrer Änderung 2023, § 42, Abs. 3:

"(3) Die Unterstützungserklärung hat die Bestätigung der Gemeinde zu enthalten, dass die in der Erklärung genannte Person am Stichtag in der Wählerevidenz eingetragen und wahlberechtigt (§ 21 Abs. 1) war. Diese Bestätigung ist von der Gemeinde nur dann zu erteilen, wenn die in der Erklärung genannte Person vor der zur Führung der Wählerevidenz zuständigen Gemeindebehörde persönlich erscheint, ihre Identität durch ein mit Lichtbild ausgestattetes Identitätsdokument (zum Beispiel Reisepass, Personalausweis, Führerschein) nachgewiesen hat, die Unterstützungserklärung die Angaben über Vornamen, Familiennamen, Geburtsdatum und Wohnort sowie die Bezeichnung der zu unterstützenden wahlwerbenden Partei enthält und die eigenhändige Unterschrift der in der Unterstützungserklärung genannten Person entweder vor der Gemeindebehörde geleistet wurde oder gerichtlich oder notariell beglaubigt ist."

 mfg

Gerhard Hämmerle

(Behindertensprecher und stv. Vorstandsvorsitzender der DA)