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Tatsächlich barrierefrei? (4.9.2024)

  • von

 

Der Behindertensprecher und stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DA hat in einem Mail an Radio Wien eine Klarstellung zum Begriff "Barrierefreiheit" eingebracht. (Zusammenfassung in einfacher Sprache)

 

Von: Gerhard Hämmerle
Gesendet: Mittwoch, 04. September 2024 15:31
An: ORF Radio Wien
Cc: Behindertenanwalt; diverse Behindertenorganisationen; diverse Medien
Betreff: Tatsächlich barrierefrei?
Wichtigkeit: Hoch

 

Guten Tag!

"Wie schon bei der Europawahl im vergangenen Juni sind auch bei der Nationalratswahl alle Wahlstandorte barrierefrei erreichbar."

(Zitat aus dem ORF Wien Onlinebericht vom 04.09.2024, 12.14 Uhr, auch über Radio-Wien verbreitet)

Über 1,1 Millionen Wahlberechtigte in Wien - wien.ORF.at

Sind Sie sich dessen auch tatsächlich sicher?

 Denn bevor hier so große Worte kolportiert werden, sollte man genau überprüfen ob dies auch stimmt - aus Rücksicht auf die betroffenen Personen (ich bin z.B.: blind)!

Aber zuerst, wie wird Barrierefreiheit definiert:

"Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sind."

(Zitat: Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG), Paragraph 6, Abs. 5, RIS)

Sinngemäß auch aus der UN-.BRK (UN-Behindertenrechtskonvention abgeleitet.

Das bedeutet, erst wenn auch für alle BEHINDERUNGSARTEN eine solche selbstständige und selbstbestimmte Nutzung und Zugänglichkeit von Wahllokalen erreicht ist, kann man von einer tatsächlichen Barrierefreiheit sprechen.

Dies ist natürlich für unterschiedliche Behinderungsarten mit unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen verbunden.

So ist als Beispiel für stark sehbehinderte und blinde Personen, ein taktiles Bodenleitsystem eine solche Maßnahme, sowie auch stark kontrastierte und große Beschriftungen, gute Beleuchtung, Beschriftungen in Braille, etc..

Natürlich haben auch hörbehinderte und kognitivbehinderte Menschen eigene Bedürfnisse, damit für diese eine Barrierefreiheit hergestellt werden kann.

Sind diese unterschiedlichen Bedürfnisse auch tatsächlich berücksichtigt und dafür Maßnahmen getroffen worden - oder wurde bei Barrierefreiheit wieder nur an Rampen und Lifte gedacht?

Solange Sie sich darüber nicht sicher sind, ob ALLE Arten der Behinderung auch versorgt wurden, ist die Nutzung des Begriffs "barrierefrei" sogar irreführend - Menschen mit Behinderung verlassen sich dann ja darauf, dass es auch genau für ihre Bedürfnisse Hilfssysteme gibt!

Möglicherweise sind Rampen, Hebebühnen usw. vorhanden, dies betrifft aber nur eine kleine Gruppe von Menschen mit Behinderung - Rollstuhlfahrer (welche solche Systeme auch verdient haben) - aber den überwiegenden Anteil an Menschen mit Behinderung hilft man damit nicht!

Ich insistiere im Sinne der Betroffenen darauf, den Begriff "barrierefrei" rücksichtsvoll und genau differenziert zu verwenden - ansonsten bitte eine solche Äußerung auch zu unterlassen!

Anbei auch eine Erläuterung wozu es Initiativen braucht und notwendig sind!

 

Gerhard Hämmerle
(Behindertensprecher und stv. Vorstandsvorsitzender der DA)