Zum Inhalt springen

Biedermeierhaus in Wien abgerissen (13.6.2022)

 

Das hier ist zwar "nur" ein Gast-Blog im STANDARD - aber wir lassen ihn hier stellvertretend für uns sprechen. Denn offenbar sind es auch andere, denen die Entwicklungen kritisch auffallen!

 

https://www.derstandard.at/story/2000136448720/biedermeierhaus-in-wien-abgerissen

Zitat: Das Haus in der Seidengasse 19 in Wien-Neubau war eine kleine Kuriosität. ... Die in zartes Rosa getauchte Fassade erweckte lange nicht den Anschein, als stünde ein Abriss vor der Tür. Doch kürzlich war es so weit. Obwohl gut erhalten und wohl vor nicht allzu langer Zeit renoviert, ist von dem Gebäude nur noch ein Schutthaufen übrig. Damit folgt es dem Schicksal vieler anderer Häuser, die in den letzten Jahren abgerissen wurden – trotz teils hohen historischen Werts. ... Im Rahmen vieler Abbrüche erfolgt auch ein "Austausch" der Bewohner – im Sinne der sozialen Schicht. In jedem Fall kommt es aber zu einer ästhetischen Veränderung und einem erheblichen Aufwand an Ressourcen. Gerade letzterer Aspekt rückt in Zeiten von Klimakrise und Rohstoffknappheit ins Blickfeld. "Jede Sanierung ist selbst dem Bau von Passivhäusern vorzuziehen", sagt die Vereinigung Architects for Future. ... Demnach wird es sinnvoll sein, dem Erhalt einen Vorrang zu geben und Abbrüche nur dann zuzulassen, wenn Häuser weder zweckmäßig noch bauhistorisch relevant sind. Doch die Wiener Politik kann sich nicht dazu durchringen, die Gesetze entsprechend anzupassen. ... Über Erhalt beziehungsweise Nichterhalt von Gebäuden bestimmt maßgeblich der Bebauungsplan. Dieser Plan legt fest, was wo und wie hoch gebaut werden darf. Über Jahrzehnte hinweg haben Politik und Behörden per Bebauungsplan ganze Bezirksteile gleichsam zum Abbruch freigegeben. Was meist ohne größere öffentliche Aufmerksamkeit im Gemeinderat beschlossen wird, zeigt sich dann später in Form von Abbrüchen und extremen Ereignissen wie Demolierungsarbeiten an bewohnten Häusern, ... Ein an das Haus angepasster Bebauungsplan hätte den Erhalt gefördert und zugleich dem Eigentümer maßvolle Ausbaumöglichkeiten (zum Beispiel hofseitig) geboten. Ein Kompromiss aus Bewahren und Weiterbauen wäre also möglich gewesen. ... Auch in der Anfangszeit von Rot-Grün wurden die zulässigen Bauvolumina zum Teil erhöht und die Einrichtung von Schutzzonen vernachlässigt. ... Seit der Jahrtausendwende boomt der Wiener Immobilienmarkt, verstärkt noch durch die niedrigen Zinsen, was die Kapitalströme in Richtung Betongold fließen lässt. Die Renditen sind vergleichsweise hoch und Neubauprojekte oft rasch verkauft – unabhängig von der architektonischen Qualität. Gebäude mit hohen Räumen werden durch Neubauten mit niedrigen Geschoßen (und daher mehr Gesamtfläche) ersetzt. Wohnungen mit durch den Richtwert begrenzten Mieten werden in Eigentumswohnungen umgewandelt. Das Mietrecht wird zwar oft für Abrisse verantwortlich gemacht, in der Realität geht es oft aber eher um die Frage der Flächen: Wenn auf einem Bauplatz laut Bebauungsplan viel mehr Fläche möglich ist, warum dann ein altes Haus erhalten, wenn es das Gesetz nicht unbedingt fordert? ... Die Stadtregierung hat der Entwicklung lange untätig zugesehen und dabei den Verlust an historischer Bausubstanz und mietrechtlich günstigerem Wohnraum leichtfertig zugelassen. Nach jahrelangen Verhandlungen kam es 2018 zwar zu einer zaghaften Gesetzesänderung – für das Biedermeierhaus in der Seidengasse aber zu spät. Wenige Tage vor Inkrafttreten der neuen Gesetzesbestimmungen wurde um Abbruch angesucht. 2022 wurde dieser vollzogen. Der Umgang mit historischen Gebäuden in Wien ist eine stille Katastrophe. Abrisse auf der Basis privater Gutachten, unzureichender Gesetze und intransparenter Behördenverfahren sind die Normalität. ... Immobilienfirmen, Bauunternehmen und Architekturbüros wollen sich verständlicherweise bei ihrer Arbeit nicht dreinreden lassen – und die Politik lässt sie gewähren. Bei Fragen der Neubau-Architektur lassen Regierung und Magistrate auch banalste Gestaltungen zu. Man sei keine "Geschmackspolizei", erklärte der Leiter der Architekturbehörde (MA 19). Derselbe Leiter hatte auch schon einmal ein großes Jugendstilhaus in der Wipplingerstraße im 1. Bezirk als nicht erhaltenswert eingestuft – und damit den Abriss ermöglicht. Wohlgemerkt: Es handelt sich um jene Abteilung, die in Wien für den Ortsbildschutz zuständig ist. ... Ziel wäre ein durchgehend hochwertiges Häuserensemble, das auch in einigen Jahrzehnten noch einen ansprechenden Eindruck macht. Interesse war von der Stadt aber keines erkennbar. Die Vorsitzende des Fachbeirats für Stadtplanung hat nicht einmal geantwortet. Ist Architektur in Wien einfach allen egal? 

 

Und wir fragen uns:

Ist da bloß architektonische Nachlässigkeit und kulturhistorische Gedankenlosigkeit bei den politischen und administrativen Verantwortlichen im Spiel?

Oder geht es da um mehr?

Um viel, viel mehr!