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„V? Das heißt Boklöv-Stil!“ (5.1.2009)

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"Es hat lange gedauert"
Jan Boklöv und der schwedische Verband haben die Presse in das abgelegene Mannschaftshotel in einem tiefverschneiten Seitental bei Oberstdorf eingeladen. Der 42-Jährige sitzt schüchtern inmitten der Journalisten, er wirkt introvertiert und unsicher.

Eigentlicher Grund der Versammlung ist Boklövs Präsentation als neuer Mitarbeiter des schwedischen Skisprungteams, wobei seine Funktion und der genaue Aufgabenbereich aber noch nicht feststehen. Das Hauptgesprächsthema steht hingegen sehr wohl fest bzw. ergibt sich von selbst.

"Es ist einfach passiert"
Vor 20 Jahren, am 10. Dezember 1988, gewann Boklöv mit seiner berühmten Bein-Ski-"Schere" sein erstes Weltcup-Springen in Lake Placid und stellte damit eine äußerst traditionsbehaftete Sportart völlig auf den Kopf. Erfunden hatte der in Malmberget geborene Skisprungrebell den neuen Stil aber schon drei Jahre zuvor.

"Es war 1985 im Sommertraining in Falun. Ich bin schlecht gesprungen und nie über 70 m gekommen", berichtet Boklöv. "Bei irgendeinem Sprung hat es mir dann einen Ski verrissen, ich bin fast gestürzt, aber bei 90 Metern gelandet. Es ist einfach passiert, keine Ahnung, wie und warum."

Anfänge sahen "schrecklich" aus
Das war laut Boklöv auch der Grund, "warum ich meinen neuen Stil niemandem erklären konnte". Dass viele Skisprungexperten, allen voran der norwegische FIS-Skisprungpräsident Torbjörn Yggeseth, skeptisch bis ablehnend reagierten, kann der schwedische Pionier heute noch verstehen.

"Sie hatten recht, am Anfang hat es in der Luft schrecklich ausgesehen. Mit der Zeit hat sich aber herausgestellt, dass es der richtige Stil war und ist", so Boklöv, der kein Geheimnis daraus macht, dass er lange Zeit auf Respekt und Anerkennung für seine Innovation wartete und immer noch wartet - sowohl in Schweden als auch seitens der FIS.

Warten auf Anerkennung
Zunächst wurde die Boklöv-"Schere" mit verheerenden Haltungsnoten bestraft, da sie in der Zeit des Parallelsprungs eine klare Regelabweichung war. "Sogar gestürzte Springer wurden besser bewertet als ich", erinnert sich der "Revoluzzer".

Und auch als sich der neue Stil ab 1988 mit Boklövs sensationellem Triumph im Gesamtweltcup und dann spätestens Anfang der 90er Jahre mit Stefan Zünd, Toni Nieminen und Co. endgültig auch in Regelwerk und Bewertung durchsetzte, blieb dem Erfinder öffentliche Anerkennung versagt.

 

Was soll uns dieses Beispiel sagen?

Wir Menschen kommen vielleicht dort einigermaßen zurecht, wo wir objektive Kriterien zur Bewertung einer Leistung, eines Geschehens oder ähnlichem heranziehen können - und das nur dann, wenn wir uns nicht in den Grenzbereichen unseres Wissens bewegen und wenn wir uns auf die Ergebnisse wirklich verlassen können, die unsere Sinne bereitstellen.

Kritisch wird es aber immer dort, wo es um subjektive Krieterien geht, um Werturteile, Geschmack und Vorlieben, um Auffassungen - oder gar um den Glauben!

Wie kurzlebig da die Dinge sein können, das beweist das Beispiel dieses Jan Boklöv. Heute springt niemand mehr anders von einer Großschanze herunter als in dem Stil, über den man damals den Kopf geschüttelt hat und für den es stilistische Punkteabzüge gab. Heute wäre es wohl umgekehrt.

Schwer ist es manchmal, den Spinner, den Irrenden oder gar Scharlatan vom Pionier und Visionär zu unterscheiden!

Vielleicht erinnern wir uns das nächst Mal daran, wenn diesbezüglich wieder einmal eine Bewertung gefragt ist ...

G.K., 5.1.2009