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Nehammers Bargeldvorstoß (5.8.2023)

 

https://orf.at/stories/3326481/

Zitat: Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) will das Bargeld als Zahlungsmittel in der Verfassung verankern. „Mir ist wichtig: Bargeld soll in die Verfassung kommen“, hielt er gestern fest. Heute kündigte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) einen runden Tisch dazu an. Fachleute zweifeln aber am Vorhaben der ÖVP-Regierungsseite. Verfassungs- und Verwaltungsjurist Peter Bußjäger nannte die Ansage von Nehammer gegenüber dem „Kurier“ gleich „populistisch“. Gewisse Staatsziele könne man in die Verfassung zwar aufnehmen. Aber „immer nur das reinzuschreiben, was gerade populär ist, obwohl es Dinge sind, die man nicht wirklich garantieren“ könne, lehne er ab, ... Er fordert wörtlich ein „Recht auf politische Vernunft in der Verfassung“. Österreich sei als Euro-Mitglied stark von europäischen Regulierungen abhängig und müsse etwa Bargeldobergrenzen akzeptieren, wenn sie beschlossen werden. ... Der Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Wien, Martin Selmayr, verwies auf Twitter ebenfalls auf die EU und meinte, dass durch die dortige Gesetzgebung der Euro als Bargeld seit 1999 geschützt sei. Eine nationale Regelung könne – „sofern sie überhaupt europarechtlich zulässig wäre“ – inhaltlich zum Schutz des Euro-Bargeldes wenig Neues beitragen, so Selmayr. Man könnte „allenfalls“ im nationalen Recht das EU-Recht bestätigen.

 

Trennen wir hier einmal die inhaltliche und politisch-taktische Ebene!

Zum inhaltlichen Aspekt: Gerade wenn es Teile von Österreich aktuell wegschwemmt sollte uns klar sein, dass Bargeld allein schon aus der Sicht von Notorganisation für den Zahlungsverkehr unabdingbar ist. Selbst das ist unter extremen Bedingungen feine Laubsägearbeit - und alles andere, als selbstverständlich. Allein schon angesichts der sehr realen Gefahr, dass Stromnetze, Fernmeldenetze etc. unter Extremwetterbedingungen tagelang in bestimmten Regionen unterbrochen sein können, ist daher das Nachdenken über eine Bargeld-Abschaffung grob fahrlässig. Und dabei ist es vollkommen irrelevant, ob im "Normalbetrieb" ein Gutteil der Transaktionen elektronisch bzw. bargeldlos erfolgt. Hiervon ist aber eine diskutierte Höchstgrenze für Bargeldzahlungen zu trennen - denn beim einen geht es um "Zahlungen im Alltag" und beim anderen um eine sinnvolle Bekämpfung von Schwarzgeld und Geldwäsche. Hierzu sind sehr wohl Überlegungen angebracht.

Zum politisch-taktischen Aspekt - und hier sollten wir schon ein wenig länger grübeln: Im Grund genommen teilt uns hier der Leiter der EU-Kommissionsvertretung in Wien - recht unverblümt und inhaltlich durchaus nicht falsch - mit, dass wir national sogar verfassungsmäßig sowieso festlegen können, was wir wollen. Aber wenn etwas anderes später auf EU-Ebene "pickt" (als rechtlich beschlossene Verordnung oder Richtlinie), dann können wir national sowieso nur auf dem Kopf stehen und mit den Ohren wackeln, aber dann "pickt" es national ebenso. Oder wir riskieren ein Vertragsverletzungsverfahren et cetera.

Weshalb der Herr Nehammer auch ungeniert mit diesem Thema und der verfassungsrechtlichen Verankerung des Bargeldes kommen kann, um der FPÖ vor der Nationalratswahl im nächsten Jahr ein Lieblingsthema wegzunehmen. Aber wenn auf der EU-Ebene Themen ins Rutschen kommen, dann rutschen sie in Österreich mit - Verfassung hin oder her. Und genau da liegt das - bisher recht elegant umgangene - Problem. Denn bisher hat man uns zu allen Themen, die da etwas heikel waren erklärt und über den (politisch besetzten) österreichischen Verfassungsgerichtshof bestätigt, dass "das eh alles verfassungskonform und unbedenklich ist". Aber die Phantasie dazu, dass es weiterhin bei den in der Bevölkerung eh nicht breiter zu diskutierenden Themen diesbezüglich bleibt, ist enden wollend!

Und was sticht dann? Ober (EU-Recht) oder Unter (österreichisches Verfassungsrecht)?

Nach derzeitiger Handhabung der Ober, also EU-Recht!

Nur: Dann bräuchten wir genau genommen in solchen Widerspruchssituationen weder einen österreichischen Nationalstaat noch eine österreichische Bundesverfassung.

Deswegen haben wir auch in unserem Verfassungsvorschlag festgehalten, dass in solchen Fällen der Unter (also österreichisches Verfassungsrecht) sticht (Artikel 143, 144 und 160, Abs. 20) - aber die Werte und Ziele dort auch klar und verbindlich verankert (Artikel 2 und 3).

Wäre damit Österreich punkto EU-Konformität auf den Spuren von Ungarn und Polen et cetera?

Na ja, eigentlich NICHT! Weil ja das meiste an grundlegenden Werten und Zielen im Verfassungsentwurf aus den - offiziellen - Werten und Zielen des Vertrags von Lissabon (Version des Entwurfs) übernommen wurde. Aber überall dort gäbe es ein massives Problem, wo die EU selbst in ihrem Handeln von diesen Werten und Zielen von damals in ihrem Handeln und daher dem ausgeübten Druck diesbezüglich auf die Mitgliedstaaten abweicht.