https://orf.at/v2/stories/2285202
Zitat: Am Abend nach der Amokfahrt eines 26-Jährigen, bei der drei Menschen getötet und Dutzende weitere teils lebensgefährlich verletzt wurden, gedachte Graz der Opfer. An vielen Stellen in der Innenstadt wurden Kerzen entzündet, Menschen kamen zu stillen Trauerkundgebungen zusammen. Das Auto des Täters wurde von jener Polizeiinspektion weggebracht, wo sich der Täter gestellt hatte. Übrig blieben die Markierungen der Polizei an jenen Stellen, wo der Täter in seiner fünfminütigen Raserei zu Mittag Menschen verletzt oder getötet hatte.
Es ist schwer, Dinge zu kommentieren, bei denen Grauen und Fassungslosigkeit sprachlos machen. Und: Nein, das Folgende ist keine Entschuldigung für etwas - kann für so etwas nie eine Entschuldigung sein.
An Kommentaren und zur Ursachenforschung gibt es die ganze Bandbreite:
Da sind die einen, die sagen: "Ein Wahnsinniger halt. Next?"
Aber sind es in letzter Zeit nicht zu viele an "durchgeknallten Einzeltätern", um die in Summe als solche abzutun? Der Germanwings-Pilot, der ein vollbesetztes Flugzeug gegen einen Berg fliegt, der junge Mann, der in einer Kirche wahllos Schwarze niederschießt, der Typ, der sich auf der Mariahilfer Straße mitsamt dem halben Haus in die Luft sprengt etc. etc. etc. - lauter Einzelfälle, die halt eben solche sind? Das ist die einfache - weil für uns überaus praktische - Erklärung. Aus dem heraus haben wir keinen Veränderungsbedarf. "Ist halt so, diesmal Glück gehabt woanders gewesen zu sein." Aber von einem Statistiker habe ich einmal gehört: "Ein Einzelfall ist ein Zufall. Zwei Zufälle (in kurzer Zeit) sind kein Zufall. Drei Zufälle sind System."
Dann gibt es die noch kreativeren, denen schon der Begriff "mit bosnischen Wurzeln" reicht, um das ganze Verschuldenspotential beisammen zu haben. Auch ein Zugang zu gesellschaftspolitischer Sinnstiftung (genauer gesagt: was man dafür hält).
Mir ist - welch Überraschung - beides viel zuwenig.
Natürlich bin ich kein Fachmann auf dem Gebiet. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass niemand als Psychopath geboren wird. Ja selbst wenn wir bestimmte Faktoren dazu in die Wiege gelegt bekämen: Unser weiteres Leben und das, was mit uns geschieht, bestimmt wohl maßgeblich mit, ob eine solche mögliche Veranlagung zum Durchbruch kommt oder nicht.
Und dort liegt für mich der Hase im Pfeffer! Krampfhaft denke ich darüber nach, auf welchem Gebiet wir da gesellschaftlich gerade NICHT so gut wie alles verkehrt machen. Und ich gebe zu: Viel fällt mir dazu nicht ein. Vom wirtschaftlichen und sozialpolitischen Zwang zur Kinderaufbewahrung statt mit Liebe und Zuwendung verbundener individueller Kinderbetreuung in einer Großfamilie. Über ein fehlentwickeltes Schul- und Ausbildungssystem mit Lehrern als Einsparungspotential statt wesentlichem Vermögen in unserer Gesellschaftsentwicklung. Über ein System des Zusammenlebens, in welchem es uns reicht, bloß nicht gestört zu werden und in dem Feind- statt Freundesbilder gezüchtet werden, damit es vom wirklichen Grund ablenkende Schuldzuweisungen geben kann. Über vieles, vieles andere hinweg bis hin zu einem Finanz- und Wirtschaftssystem, das Pyramidenspiel-artig mehr einer Castingshow mit bloß einem oder zumindest nur ganz ganz wenigen Siegern gleicht.
Nur hat man bei dem allen vergessen, wie die Milliarden an Verlierern dieser Show reagieren - gerade wenn man deren Entwicklung und Bildung (im ganzheitlichen Sinn) so grob vernachlässigt hat, wie oben angerissen!
Da gibt es eben dann viele darunter, die nicht bloß irgendwie bis zum Ende vegetieren oder sich durch Selbstmord aus dem Staub machen (was uns ja nicht stört, solange das außerhalb des eigenen Sichtfeldes der Wahrnehmung passiert). Da gibt es dann auch solche - und mehr und mehr an der Zahl - die ihr eigenes Leid weitergeben wollen. Die in ihrer Ohnmacht der aufgestauten Wut Ausdruck geben. Und denen es ganz egal ist, ob sie dabei "die Richtigen" oder "die Falschen" erwischen. Weil ihr Feind - die "Gesellschaft", die ihnen Leid oder zumindest nichts Gutes getan hat (zumindest nach deren Eigenbild) - das sind wir alle.
Und damit haben sie - wenn wir ehrlich zu uns sind - gar nicht einmal so Unrecht.
Was - noch einmal gesagt - nichts entschuldigt!
Aber unser Nicht-Handeln auch nicht. Weil wir alle SIND "die Gesellschaft". Und somit auch Bestandteil des gesellschaftlichen Problems, das immer größer statt kleiner wird.
Apropos Handeln! Auch dazu gibt es, no na, die Einfachst-Problemlöser, die da meinen: "Wären alle bewaffnet gewesen und hätten den Irren rechtzeitig aus dem Auto geschossen, dann wär das alles nicht passiert."
Na ja, "das alles nicht passiert" ist schon einmal falsch - weil zumindest hätte es die ersten erwischt. Oder hätte man den Mann schon statt wegweisen erschießen sollen??? Also wo beginnt man bei prohibitiven statt präventiven Maßnahmen "Probleme" zu bekämpfen - und wodurch? Abgesehen davon dass ich mir anschaue, wieviele Schussopfer wir dann bei unzureichend ausgebildeten bewaffneten Bürgern zu beklagen hätten. Unter Umständen sogar zusätzlich.
Nein, auch so lösen wir diese Probleme nicht. Probleme, die nicht erst auf uns zukommen - in denen stecken wir schon mittendrin. Und sie werden, wie gesagt, immer größer statt kleiner.
Das ist die Art von "Revolution" gegen unsere Gesellschaft, auf die wir uns einstellen müssen. Sie nennt sich heute Amok und Terror.
Und sie ist - meine Meinung - selbst gemacht. Von uns allen.
Was so nicht sein darf - wenn wir überleben wollen. Ich brauche kein Prophet für die Voraussage zu sein, dass der eine oder die paar Gewinner aus der gesellschaftlichen Castingshow ihren Triumph nicht mehr erleben werden. Dazu sind wir viel zu angreifbar/verwundbar aus Amok und Terror geworden.
Deshalb müssen wir die Dinge präventiv verändern - rasch und umfassend. Wie umfassend? Sehr!
Ob das machbar ist? Es wird sehr sehr schwierig, gar keine Frage.
Aber wenn wir es so lassen: Wie sieht dann die Alternative aus, auf die wir zutreiben?
Das hier ist übrigens keine Werbung in eigener Sache, denn es ist bloß wichtig dass die richtigen (!!) und notwendigen Veränderungen rasch geschehen. Ganz egal durch wen! Es ist auch kein "Ätsch, ich hab es Euch ja schon immer gesagt!", denn die hier Betroffenen können (so wie die vielen vor ihnen) ja wahrlich nichts dafür - zumindest nicht mehr als wir anderen auch. Ihnen gilt meine volle Anteilnahme und Trauer.
Aber es ist ein weiterer verzweifelter Appell zur umfassenden gesellschaftlichen Veränderung in die richtige Richtung - als Versuch, diesem neuerlichen Wahnsinn möglichst wenig an weiterem solchen folgen zu lassen.
Und dazu braucht es halt viel harte Arbeit in leider nur sehr kurzer Zeit.
Fangen wir an!
G.K., 21.6.2015
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